Die Frage der Abgrenzung einer bloßen Anzeige und Berichtigung von Erklärungen nach § 153 AO zur strafbefreienden Selbstanzeige nach § 371 AO hat in den letzten Jahren zu heftigen Diskussionen und zu einer großen Unsicherheit bei Unternehmen geführt. Mit dem nun vorgelegten Anwendungserlass zu § 153 AO erläutert das BMF (unter anderem), wie diese Abgrenzung seiner Auffassung nach zu erfolgen hat. Damit leistet das BMF einen wichtigen Beitrag zur Entkriminalisierung des Steuerrechts.

Abgrenzung von § 153 AO zu § 371 AO

Hinsichtlich der Abgrenzung der Anzeige- und Berichtigungspflicht von einer Selbstanzeige führt das BMF aus, dass sowohl § 153 AO als auch § 371 AO eine im Zeitpunkt der Abgabe objektiv unrichtige Erklärung voraussetzen. Der Unterschied ist allerdings, dass im Fall des § 153 Abs. 1 AO der steuerrechtlich relevante Fehler weder vorsätzlich noch leichtfertig begangen wurde. Objektiv unrichtig ist die Erklärung, wenn sie entgegen § 90 Abs. 1 Satz 2 AO, § 150 Abs. 2 Satz 1 AO nicht alle steuerlich erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenlegt.

Der Anwendungserlass erläutert jedoch nicht nur den Begriff der objektiven Unrichtigkeit, sondern auch den Begriff des Erkennens. Danach bedeutet Erkennen das Wissen von der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Erklärung sowie die Erkenntnis, dass es durch die Erklärung zu einer Verkürzung der Steuer kommen kann oder bereits gekommen ist.

Ob der Anfangsverdacht einer vorsätzlichen oder leichtfertigen Steuerverkürzung gegeben ist, bedarf einer sorgfältigen Prüfung durch die zuständige Finanzbehörde. Aufgrund der Höhe der steuerlichen Auswirkung oder der Anzahl der abgegebenen Berichtigungen soll nicht automatisch auf das Vorliegen eines Anfangsverdachts geschlossen werden. Dagegen liegt jedoch, wenn die Pflicht zur unverzüglichen Anzeige und Berichtigung nach § 153 Abs. 1 oder Abs. 2 AO vorsätzlich nicht erfüllt wird, eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO vor.

Klarstellend hält das BMF fest, dass für eine Steuerhinterziehung bereits bedingter Vorsatz ausreichend ist. Die Einrichtung eines sog. innerbetrieblichen Kontrollsystems, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient, kann ein Indiz darstellen, das gegen das Vorliegen von Vorsatz oder Leichtfertigkeit spricht, es befreit aber nicht von einer Prüfung des jeweiligen Einzelfalls

Umfang der Anzeige- und Berichtigungspflicht

Die Anzeige-und Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 Satz 1 AO und die Anzeigepflicht nach § 153 Abs. 2 AO erstreckt sich auf alle Erklärungen des Steuerpflichtigen, die Einfluss auf die Höhe der festgesetzten Steuer oder auf gewährte Steuervergünstigungen gehabt haben – somit z.B. auch auf Änderungsanträge sowie auf Anträge auf Herabsetzung von Vorauszahlungen.

Zur Anzeige und Berichtigung verpfl. Personen

Zur Anzeige und Berichtigung sind neben dem Steuerpflichtigen auch der Gesamtrechtsnachfolger und die nach §§ 34 und 35 AO handelnden Personen (z.B. Geschäftsführer einer GmbH als deren gesetzlicher Vertreter) verpflichtet. Für den Fall, dass eine Erklärung von einem Bevollmächtigten (z.B. Steuerberater, Lohnsteuerhilfeverein, Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer) vorbereitet oder sogar unterschrieben oder elektronisch übermittelt wurde, bleiben hingegen nur der Steuerpflichtige und die Person i.S.d. § 153 Abs. 1 Satz 2 AO zur Anzeige und Berichtigung verpflichtet.

Zeitpunkt der Anzeige und Berichtigung

Nach dem Gesetzeswortlaut des § 153 AO muss die Anzeige und Berichtigung „unverzüglich“ gegenüber der sachlich und örtlich zuständigen Finanzbehörde erstattet werden. Der Begriff „unverzüglich“ wird in dem letzten Abschnitt des Anwendungserlasses dabei je nach Fallkonstellation unterschiedlich ausgelegt:

Für bloße Anzeigen nach § 153 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AO sowie für die Berichtigung nach § 153 Abs. 1 Satz 1 AO ist das Tatbestandsmerkmal „unverzüglich“ erfüllt, wenn der Pflicht ohne schuldhaftes Zögern nachgekommen wird. Darüber hinaus kann die Berichtigungspflicht aber auch noch später erfolgen, wenn zur Aufbereitung der Unterlagen eine gewisse Zeit erforderlich ist.

Für die Anzeige- und Berichtigungspflicht bei Steuerhinterziehungen mit bedingtem Vorsatz ist die Anzeige aufgrund des verfassungsrechtlich geschützten Nemo-Tenetur-Grundsatzes solange als „unverzüglich“ zu werten, wie dem Steuerpflichtigen eine angemessene Zeit zur Aufbereitung einer Selbstanzeige nach § 371 AO zuzugestehen ist

Fazit

Grundsätzlich ist der Anwendungserlass zu § 153 AO zu begrüßen. Die Finanzverwaltung gibt eine erste Klar- und Hilfestellung für die Abgrenzung von der Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 AO zur Selbstanzeige nach § 371 AO. Positiv ist die Klarstellung, dass nicht allein aufgrund der Höhe der steuerlichen Auswirkung vom Vorliegen eines Anfangsverdachts einer Steuerhinterziehung ausgegangen werden kann, zumal in Unternehmenssachverhalten regelmäßig nicht unerhebliche Steuerbeträge betroffen sind.

Weitere konkretisierende Ausführungen zu strittigen Fragen, deren Beantwortung für die Praxis von Bedeutung sind, wären allerdings wünschenswert gewesen, z.B.:
- Detailliertere Abgrenzungsmerkmale der Anzeige- und Berichtigungspflicht von einer Selbstanzeige: Insbesondere fehlen konkrete Angaben zu den angesprochenen innerbetrieblichen Kontrollsystemen (Steuer-IKS), z.B. welche Anforderungen an die Qualität des innerbetrieblichen Kontrollsystems gestellt werden müssen, um Vorsatz oder Leichtfertigkeit auszuschließen. Da solche Kontrollsysteme aufgrund der handelsrechtlichen Vorgaben in vielen Konzernen installiert sind, wären nähere Ausführungen hierzu wünschenswert.
- Zeitpunkt der Anzeige und Berichtigung: Ungeklärt ist, welcher Zeitraum vom Begriff „unverzüglich“ noch umfasst wird oder wie lange eine „angemessene Zeit“ nach Auffassung der Finanzverwaltung ist.

Es bleibt abzuwarten, ob und ggf. inwieweit die Finanzverwaltung die noch offenen Fragen in einem weiteren oder geänderten Anwendungserlass beantworten wird.